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Zwischen Poesie und Wirklichkeit Laudatio auf Rüdiger Kramer, den Kunstpreisträger der Stadt Euskirchen 2002
Als Bewerbung zum diesjährigen Kunstpreis der Stadt Euskirchen reichte der Maler, Zeichner und Fotokünstler Rüdiger Kramer eine Serie von Fotografien ein, die wegen ihrer technischen Leistung, wegen ihres malerischen Charakters und wegen ihrer intensiven Sicht auf die Stadt beeindruckten. Wie alle Künstler ist auch Rüdiger Kramer ein Augenmensch: Ständig in Bereitschaft, etwas zu entdecken, auf Formen und Bildfähigkeit hin visuell abzutasten, es festzuhalten, von vielen Seiten her zu betrachten. Der dokumentierende und der gestaltende Geist konkurrieren in seinem Schaffen miteinander. Denn nie ist gleich entschieden, ob ein Motiv einmal ein Bild wird, das kommt immer erst später. So ist er ein Stenograf der Wirklichkeit, der zunächst festhält und speichert, freilich schon vor dem Sujet mit einem sicheren Blick für Bildfähigkeit und Aussagekraft. Er sagt: „Wenn ich fotografiere, vermisse ich das Zeichnen." Deshalb setzt er die Gattungen parallel ein. Skizzenblock und Kamera sind seine ständigen Begleiter. Diese Ausstellung stellt den Künstler anhand seiner Euskirchen - Sequenz vor, die jetzt schon eine eigene Position in seinem Werk einzunehmen scheint. Eine Wiederholung in anderen Städten schließt er aus. Beim Gang durch die Ausstellung bemerkt man sehr schnell deren Gliederung. Sie ist nicht nach Stilformen, nicht nach Tag- und Nachtbildern, nicht nach Themen gehängt, sondern vollzieht chronologisch den Gang des Künstlers durch die Stadt nach. So führt der Weg von der Plakatwand neben der Bahnunterführung an der Münstereifeler Straße - unten im 1. Raum, links - nach oben zum letzten Bild – im ersten Raum rechts - zum Stadtmuseum. Dabei werden räumliche Zusammenhänge erfahrbar: Vertraute Straßenzüge, Plätze, Gebäude, Passagen. Die Hochstraße, Neustraße, Alter Markt, Kirchstraße, Galleria, Wilhelmstraße identifizieren wir, die Lokalisierung mancher Ansichten bereitet schon Mühe. Da sind Plakate, Graffiti, Geländer, Pfeiler und Fahrzeuge, Aufblicke und Durchsichten. Funktionale Zusammenhänge wie Wohnen, Parken, Einkaufen, sich treffen, Bewirtung etc. sind erkennbar, wenn auch nicht das primäre Ziel der Bilder. Es spiegelt sich das Gewachsensein der Stadt: Von spitzgiebeligen Fachwerkhäusern bis zu flachgedeckten Betonbauten, von der altehrwürdigen Martinskirche bis zum modernen Bistro, von der leerstehenden Villa bis zur belebten Straße. Aber auch das ist noch nicht die eigentliche, die hauptsächliche Mitteilung der Bilder.
Wie verlief der Arbeitsprozeß ? Eine solche Fotosequenz entsteht nicht mal eben im Atelier, nicht nebenbei und nicht ohne eine gewisse Leidenschaft. Da muß man vor Ort sein und sich eingraben in die Geschichte und vor allem in die Gegenwart dieser Stadt. Deshalb ist die Arbeit auch so aktuell und zeitgenössisch. Als Rüdiger Kramer auf die Ausschreibung für den Kunstpreis der Stadt Euskirchen stieß, fand er sie spontan gut, weil sie sehr konkret war, eine klare Aufgabe stellte und nicht ein dubioses Thema für Alles und Nichts anbot. Ohnedies findet er, „daß Kunst eine Aufgabe braucht." Nie war er zuvor in Euskirchen gewesen, es gab keinen Grund zum Besuch. Aber die Ausschreibung reizte ihn. Er fand eine Situation, wie sie für viele Städte zutrifft: eine Mischung aus Häusern, Plätzen, Parks und Sehenswürdigkeiten, umgeben von Verkehrswegen und Industrie. In Menden/Sauerland 1953 geboren, hat ihn seine Arbeit in der Kleinstadt Viersen offensichtlich empfindsam gemacht für die fotografische Entdeckung der Stadt Euskirchen. So machte er sich mit der Erfahrung kleinstädtischen Gemüts anderenorts an die Euskirchener Arbeit. Und auch ein kaum überraschendes Unverständnis wie etwa der Ausruf von jugendlichen Zechern vor dem Alten Rathaus zu später dunkler Stunde: „Hä, wat fotografiert dä dann he?" hat ihn nie von seiner systematischen Suche nach dem Charakter dieser Stadt abhalten können. Ein fremder Künstler, der nachts in der Stadt herumgeistert und scheinbar unattraktive Winkel fotografiert, das hatte für andere sicher etwas Komisches an sich. Rüdiger Kramer war vor der Abgabe seiner Bewerbung um den Kunstpreis sechsmal in Euskirchen. Er hat die Stadt - ohne Vorinformation und Lektüre - begangen, erkundet, erfahren, entdeckt, in Fotokunst umgesetzt. Er hat sich durch Herumlaufen in der Stadt die Struktur, die Bauten, die Schwächen und Stärken erarbeitet, hat offensichtlich Sympathie entwickelt. Später nach der Information, der Kunstpreisträger 2002 zu sein, war er noch viermal hier, um die Serie für die Ausstellung anzureichern. Ein Besuch im Regen war für den Apparat zwar unergiebig, hat aber durchaus die Sensibilität für die Stadt und ihre Menschen gestärkt. Kennenlernen, sich annähern, sich vertraut machen, sie mögen: das sind Stufen, die einander nicht unbedingt folgen, aber für eine geglückte Kampagne – wie hier - schon eine Voraussetzung sind. Tiefer eindringen in das, was hier steht, was hier passiert, in die Art, wie das Leben abläuft, wie sich wer wo aufhält, wie die Kulissen das Leben rahmen und begleiten, das alles wird in seinen Bildern sichtbar und lesbar. So weiß er schon beim Beginn seiner eigentlichen Arbeit an der Serie, was hier „los ist", kennt die Laufwege und Ruheplätze, erfaßt den konkreten Zustand der Stadt rational und emotional. Das gehört gewissermaßen zur seismographischen Begabung eines Künstlers. So geht Rüdiger Kramer schon mit einem „gepolten" Blick an die Arbeit: Das ist keine Routinesicht, die von Ort zu Ort übertragbar und deshalb immer gleich ist. Neugier und Erfahrung, technische Souveränität und künstlerischer Anspruch ermöglichen ihm hier eine frische Herangehensweise, ermöglichen das Umkreisen und das immer näherkommende Einkreisen der Motive. Wenn er eine seiner Kameras aus der Tasche nimmt, dann „wirft er sich an" - wie er selber sagt. Dann ist er ganz Auge, ganz Aufmerksamkeit, ganz nahe am Leben seiner Motive. Ganz nüchtern im technischen Vorgehen, aber zugleich auch ganz leidenschaftlich erarbeitet er die Fotosequenzen, indem er die Eindrücke zunehmend mit Formen und Bildern füllt, sie verdichtet. Fünf Motive pro Streifzug – wie ein Porträtmaler sagt er „Sitzung" dazu – sind eine gute Ausbeute. Dahinter stehen freilich oft unzählige Aufnahmen, die aber alle noch durch den Filter der Komposition, des Ausschnitts, der Qualitätskontrolle gehen müssen. Da bleiben dann eben erfahrungsgemäß nur noch rund fünf Motive übrig.
Wie ist sein Themenspektrum, wie sind sein Blickwinkel und seine Motive? Da finden sich keine üblichen Postkarten-Motive, denn seine Motiv-Pirsch war keine Sightseeing - Tour. Der touristische Allerweltsblick ist einer Fokussierung auf die sog. „provinzielle Urbanität" gewichen, die sich dann freilich in den meisten Bildern nahezu großstädtisch äußert. Herausgekommen ist ein Lebensbild der Menschen in dieser Stadt. Nicht die Panoramen aus der Ferne, nicht die Mauern, nicht die Wiesen und Äcker, die Wälder und Burgen, die Schlösser und Produktionsstätten waren die wichtigen, tragfähigen Motive für den Fotokünstler. Das „Muß" einer Ansicht, eines bekannten Baus oder einer Perspektive interessiert ihn nicht. Sondern da ist ein frischer eigener Blick, der zu Entdeckungen in der Realität und im Bilde taugt und führt. Es gibt auffallend viele Nachtaufnahmen. Nachtbilder machen erfahrungsgemäß viel her: Eine Dramaturgie des Lichtes entsteht, die Präzision des Details schwindet, die Wirkung von Raum und Konturen wächst, Gefühle und Phobien haben einen anderen Einfluß auf die Wahrnehmung des Betrachters, die kognitiven und affektiven Ebenen tauschen einander aus. In der Kunstgeschichte sind „Nachtstücke" ein eigenes Genre: Von den Engelsvisionen und der Geburt Christi führt der Weg über Mondscheinbilder, Feuersbrünste und gespenstische Situationen bis hin zu gemütlichen Stubenszenen. Nicht zuletzt die zeitgenössische Malerei liebt noch solche Lichtwirkungen. Auch amerikanische Maler vor den Pop-Artisten konzentrierten sich auf „The light of the night". Zu ihren Hauptvertretern ist Edward Hopper (1882-1967) mit seinen Bildern der Verlassenheit in der Stadt zu zählen. Rüdiger Kramer schätzt ihn sehr. Das Leuchten der Nacht macht die Dunkelheit erst recht bewußt, die Aufhebung der Finsternis mit den Mitteln des Tages, mit Licht also, macht die Gegensätze deutlich. Das Licht der Nacht zeichnet anders als der Schatten des Tages. Ein anderer genereller Themen-Schwerpunkt von Rüdiger Kramer sind „Einsame Menschen" und „Menschen in Gesellschaft". Man entdeckt diese Motive auch in der Euskirchen - Sequenz immer wieder. Wenn er als Maler und Fotokünstler sagt: „Man muß keine neue Wirklichkeit erschaffen", dann ist das eine Kampfansage an die künstlerischen Verfremdungen, an formale Provokationen im Bild, an postsurrealistische Versuche, die erfahrungsgemäß der Realität eine völlig andere Bildwirklichkeit gegenüber setzen. Die objektive Wahrnehmung der Wirklichkeit ist das eine, die subjektive künstlerische Umsetzung dieser Wirklichkeit das andere. Die Kunstfotografie versucht oft, die Erfahrungen und Prinzipien der Malerei – nämlich Phantasie, Illusion, Spontaneität - unverändert zu übernehmen. Aber z.B. abstrakte Malerei ist etwas völlig anderes als der Versuch einer abstrakten Fotografie. Fotografie hat es eben doch mit Wirklichkeit und mit deren Abbildung zu tun. Das respektiert Rüdiger Kramer zunächst einmal und setzt seine künstlerische Gestaltung dann da oben drauf.
Was ist sein Kunstprinzip? Welche Stilsprache pflegt er? Zunächst muß man noch darauf hinweisen, daß der Künstler Rüdiger Kramer jahrelang sozusagen auf der anderen Seite des Tisches gesessen hat: Er war nämlich Journalist in Düsseldorf. Sehr erfolgreich übrigens, hat über Kunst und Kultur berichtet, hat die Leser erreicht und an der berichteten Sache beteiligt. Dazu gehörte auch die Beobachtung der schon immer quirligen und reichen Düsseldorfer Fotoszene und der des Umlandes. Hier registrierte er eine Erfahrung, die noch heute trägt: die Fotografie befindet sich in einem andauernden Wettbewerb, ja fast in einem Kampf mit der Kunst, zu der viele sie leider immer noch nicht rechnen. Entgegen den üblichen Prinzipien landläufiger Fotografen, die keine Licht-, Farb- oder Spiegelreflexe mögen, besteht Rüdiger Kramer geradezu darauf: Die Spiegelung der Welt, das Gegenbild, die Rund-um-Sicht, Raumerweiterungen, konstruktive Elemente, Perspektive – sich oft vervielfältigend -, der Einbezug eines Selbstbildnisses und der Zugang für die Betrachter ins Bild, zugleich auch in den Ort oder in das Thema: Das alles ermöglicht zum einen eine Identifikation des Betrachters, und zum anderen kann damit die kompositionelle Idee unterstützt werden. Die Unschärfen in verschiedenen Bildebenen sind ebenso wie die Lichtblitze bewußt eingesetzte Gestaltungselemente. Reflexe sind keine Aufnahmefehler, sondern gewollter Teil der Bildstrukturen. Die Fotografien von Rüdiger Kramer sind emotional und malerisch; Farbwerte sind Gefühlswerte. Mit dem Spiel der Schärfen und Unschärfen werden gewissermaßen die Valeurs der Malerei zurück gewonnen, mit Licht werden hohe oder tiefe Farbtöne erzeugt, die sich in der Wahrnehmung affektiv äußern. Das heißt: Ein Bild vermittelt eine – von der Farbe und vom Licht her - bestimmte Stimmung, z.B. Einsamkeit oder Trübsal, Frohsinn oder Geselligkeit, Nüchternheit oder Romantik. Das sind keine Zufallsprodukte, sondern erkundete und erarbeitete Bildqualitäten, die über die Standards der Dokumentarfotografie weit hinaus reichen. Bei der Betrachtung eines Sujets, bei der Auswahl eines Motivs erkennt der Künstler schon dessen malerisches Potential. Bereits beim Abdrücken komponiert Rüdiger Kramer, rückt Formengruppen zusammen, schafft einen Bildkontext, der in sich als Kunstwerk stimmig ist. So ist es ihm unter anderem gelungen, die Schilderflut vor dem „Ratskeller" in ihrer mehrheitlich am Rechteck orientierten Form wie eine zweite Ebene dem Mauerwerk entsprechen zu lassen. Eine Fülle von Parallelen gibt es da zu entdecken, die die Zeichenwelt und die Bauwelt – trotz kritischem Unterton - miteinander versöhnen. Auch die „Villa Frings" etwa mit ihrem Gegensatz von metallener Industriehülle und denkmalwürdiger Bausubstanz, von leerer Fläche und vereinzeltem Menschen setzt bewußt einen „Dorn" in einer gelungenen Bildkomposition. Es fällt bei vielen Bildern dieser Fotosequenz auf, dass der Künstler ein Konstruktivist und Minimalist ist. Konstruktivist, weil seine Bilder durch Motiv, Ausschnitt, Licht und Farbe eine unverwechselbare vielseitige Struktur gewinnen. Minimalist, weil sie mit einem oft ganz minimalen Einsatz an Mitteln und Formen auskommen. Das Ganze bleibt – auch wenn sich Rüdiger Kramer als komponierender Künstler am wenigsten als Realist sieht – stets streng an der Wirklichkeit orientiert.
Was charakterisiert den Künstler ? Rüdiger Kramer war Schüler von Prof. Rolf Sackenheim an der Düsseldorfer Kunstakademie, der ihm den kräftigen Zeichnungsstrich vermittelt hat, und er war Schüler von Joseph Beuys (1921-1986), dessen Lebensleistung, dessen Charisma und dessen Kunstauffassung ihn beeinflussten. Vielfach ausgezeichnet, international ausgestellt und auch als akademischer Lehrer erfolgreich, arbeitet Rüdiger Kramer seit 1986 mit psychisch Kranken und geistig Behinderten. Er vermittelt ihnen eine ungewöhnliche Ausdrucksfähigkeit, fördert das in jedem Menschen schlummernde kreative Potential und verhilft so zu einer wichtigen Lebensqualität. Die hier ausliegende Publikation „Eine bildliche Erde kann man haben" (Viersen 1998) legt beredtes Zeugnis von diesem künstlerischen und menschlichen Engagement in den Rheinischen Kliniken Viersen ab. Ich behaupte, dass dies ein Teil des Erbes von Joseph Beuys ist, der nicht ohne Grund sagte: „Jeder Mensch ist ein Künstler". Sein auch spirituell getragener Kunstbegriff mündet in die Idee einer sogenannten „sozialen Plastik", die das kreative Zusammenwirken menschlicher Individuen in Kunst und Leben meint. Rüdiger Kramer wandelt auf dieser Fährte, wenn er z. B. in einer großen Sequenz die Bildnisse Verstorbener festhält (1990) oder sich künstlerisch authentisch den Situationen von Menschen vor, während und nach einer Herztransplantation zuwendet. Seit der Bildserie der Verstorbenen kommt zunehmend die Fotografie ins Spiel, die bei der Euskirchen-Sequenz alleine das Feld beherrscht.
Welche Technik setzt er ein? Welchen Prozess durchlaufen die Fotografien ? Rüdiger Kramer fotografiert im Kunstlichtbereich, in der Dunkelheit und zur Abend- wie Dämmerungszeit grundsätzlich mit dem Stativ, auch gerne mit dem „Bonsai-Stativ" – einem kleinen Stativ, das man z. B. auf Fensterbänke sowie auf Strom- oder Briefkästen aufsetzen kann. Am liebsten setzt er seine Canon Powershot G 2 – Kamera ein. Neben der Komposition vor Ort spielt die Arbeit am Bildschirm eine zentrale Rolle: Ausschnitt, Farbigkeit, Kontraste, Montagen werden hier zurückhaltend bearbeitet. Er arbeitet hart am Bild – wie Gurski, die Bechers, Hütte und andere Meisterfotografen der Düsseldorfer Schule. Rüdiger Kramer verändert nicht den Bildinhalt, schönt nicht, verfremdet nicht, manipuliert nicht, honoriert aus Prinzip nicht die neuen Möglichkeiten der Digitalfotografie, die auf der gerade laufenden Photokina zum Trendsetter des neuen Fotozeitalters gekürt wird. Er benutzt also die Vorzüge der neuen, schnellen und weltweit kommunizierbaren digitalen Technik, um tradierte Fotokunst praktischer und ökonomischer pflegen zu können. So entspricht seine Bildbearbeitung noch weitgehend dem Prinzip der „wahrhaften" Abbildung, in der Erfahrung und Erfindung nicht weit auseinander driften. Dennoch nützt er die Chancen der künstlerischen Interpretation, wenn er der Stadt Euskirchen im Bild ein Flair gibt, Winkeln der Stadt einen unverhofften romantischen Klang verleiht, wenn er die Kirchenwerbung zum prallen Leben ordnet, wenn er die Baulücken wie einen Einschnitt in den gewachsenen Organismus der Stadt markiert, wenn er Bedienungsteile eines Parkhauses wie autonome Plastiken ins Bild setzt. Da erscheinen - nach seiner immer noch veristisch orientierten Bildbearbeitung - die Stadt als quicklebendig oder totenstill, die Plätze oder Gebäude als Bündel von horizontalen, vertikalen und diagonalen Strukturen, die Unorte Parkhaus, Parkplatz oder Tunnel wie träumerische oder melancholische Winkel. Auch da, wo keine Menschen zu sehen sind, spricht die Fotosequenz vom Menschen: sein Handeln - das Bauen oder Abreißen - bleibt erkennbar, alles ist Geschichte, die Stadt ist ein lebendiger Körper. Das fahle Licht lebt ebenso wie eine Backsteinmauer, das Parkhaus leuchtet wie ein Kristall in der Dunkelheit und manche Straßenbeleuchtung strahlt mit dem Stern von Bethlehem um die Wette. Das ist natürlich keine gewohnte, keine übliche Anwendung in der zeitgenössischen Fotografie. Es gibt gerade da auch völlig andere Ansätze und Lösungen. (...)
Zusammenfassende Bemerkung Von Atomphysik oder von Quantentheorie, von Schintoismus oder von Interferenzen, - man muß nur ein Lexikon aufschlagen, um weitere solcher Begriffe zu finden -, verstehen die meisten Zeitgenossen, verstehen wir – meist zugegebenermaßen – wenig oder gar nichts. Und schweigen. Bei der Kunst ist das schon anders: Da sie über einen affektiven Zugang spontan gefällt oder mißfällt, glauben viele, das sei ein Beurteilungskriterium. Und reden – meist nicht zugegebenermaßen – drauf los. Kunst macht ja kommunikativ. Die Fotokunst, die Kunstfotografie, die preiswürdige Sequenz unserer Heimatstadt Euskirchen von Rüdiger Kramer lehren uns, dass gute Kunst sowohl dem spontanen Urteil – gewissermaßen aus dem Bauch heraus – als auch der analytischen Begutachtung – gewissermaßen nach dem Methodenkanon der Bildwissenschaften – souverän standhalten kann. Gefühl und Verstand sagen uns also, dass wir es hier mit einer technisch ausgereiften, aber nicht überzogenen, dass wir es hier mit einer stilistisch zugänglichen, aber nicht populistischen, dass wir es hier mit einer inhaltlich sympathisierenden, aber nicht anbiedernden künstlerischen Leistung zu tun haben. Aus dem distanzierten Blick des Kunstprofis von außerhalb ist ein künstlerisches Produkt mit deutlicher Zuneigung geworden. Es ermöglicht uns allen, ob Alt- oder Neubürger, ob jung oder alt, ob Liebhaber des Alten oder Verfechter der Moderne, ob Kunstkenner oder nicht, über die Bilder eine Identifikation mit der Liebeserklärung: „Össkerche, I love you. Echt." An Kramers „Versuchsfeld Euskirchen" wird erkennbar, wie individuelle historische, topographische, ökonomische oder gesellschaftliche Selbsteinschätzung durch den künstlerischen Blick von außen bestätigt, modifiziert oder widerlegt werden kann. Er öffnet uns die Augen, stellt die Stadt in einem - im wahrsten Sinne des Wortes – neuen Licht dar und geizt weder mit Sympathie noch mit kritischem Verständnis für manche Schwächen. Seine Bilder schenken der Stadt und uns ein Stück Poesie, die wir so noch nicht wahrgenommen hatten. Dieser wohltuende und gelungene Blick von außen hat mit seiner künstlerischen Form diesen Kunstpreis der Stadt Euskirchen im Jubiläumsjahr 2002 wahrlich verdient. Prof. Dr. Frank Günter Zehnder, Euskirchen, 29. Sept. 2002 |
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